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Fließende Übergänge zwischen Fachjournalismus und wissenschaftlichen Veröffentlichungen

von Dipl.-Math. Dipl.-Inform. Hans-Georg Eßer

Abschlussarbeit im Fernstudium Fachjournalismus
Deutsche Fachjournalistenschule

Prüferin: Uta Fuchs

Oktober 2006

Diese Version der Arbeit wurde ins HTML-Format konvertiert. Lesen Sie im Zweifelsfall das Originaldokument im PDF-Format.

1. Einleitung

Liest man wissenschaftliche Abhandlungen, bemerkt man schon nach den ersten Sätzen, dass hier ein ganz anderer Sprachstil gepflegt wird, als es bei Publikationen für eine breitere Öffentlichkeit der Fall ist: Die Texte sind von Passivkonstruktionen und Substantivierungen durchzogen, und es gilt im Hochschulumfeld als unseriös, diesen Standard durch "lebendigere" Sprache zu verletzen.

Im Rahmen dieser Arbeit vergleichen wir wissenschaftliche und fachjournalistische Texte aus dem Themenfeld Informatik. Dabei geht es nicht um inhaltliche Aspekte (wie Anspruch, vorausgesetzte Vorkenntnisse etc.), denn in beiden Bereichen gibt es Texte auf hohem und niedrigem fachlichem Niveau. Vielmehr geht es um die sprachlichen Unterschiede.

Wir kommen zu dem Schluss, dass es zwar deutliche sprachliche Unterschiede zwischen den beiden Textsorten gibt, diese aber künstlich erzeugt sind. Am Ende der Arbeit schlagen wir einen Weg zur Harmonisierung vor, der im Wesentlichen darin besteht, Wissenschaftler journalistisch weiterzubilden, so dass die Stildifferenzen aufgehoben werden. Wissenschaftliche Literatur könnte sich damit in ähnlicher Weise zu mehr Leserfreundlichkeit hin entwickeln, wie dies im Bereich der Hochschulvorlesungen durch den verstärkten Einsatz didaktischer Methoden bereits geschieht.

1.1 Begriffsklärungen

Zu Beginn der Arbeit klären wir einige Begriffe, um wissenschaftliche und fachjournalistische Autoren und die von ihnen erstellten Texte unterscheiden zu können.

1.1.1 Autoren, Journalisten und Forscher

Der deutsche Journalistenverband gibt auf seiner Web-Seite1 die folgende Kurzdefinition für Journalisten:

"[...] Journalist/in [ist], wer hauptberuflich produktiv oder dispositiv Informationen sammelt, auswertet und/oder prüft und Nachrichten unterhaltend, analysierend und/oder kommentierend aufbereitet, sie in Wort, Bild und/oder Ton über ein Medium an die Öffentlichkeit vermittelt oder den publizistischen Medien zu dieser Übermittlung bereitstellt."

Autoren, die nicht unter den Journalistenbegriff fallen und die wissenschaftlich publizieren, also typischerweise ihre eigenen Forschungsergebnisse der Wis­senschaftsgemeinde vorstellen, nennen wir im Folgenden Forscher.

Einzelne Personen können auch beiden Gruppen gleichzeitig angehören.

1.1.2 Computerzeitschriften: Fach- oder Publikumszeitschriften?

Computerzeitschriften betrachten sich häufig in der Selbstdarstellung als Fachzeitschriften (so nennt sich etwa "tecChannel compact" in seinen Mediadaten unabhängige Computer-Fachzeitschrift2), gehören aber als Special-Interest-Zeitschriften (vgl. Abbildung 1 auf Seite 5) in die Kategorie der Publikumszeitschriften,3 die mit redaktioneller Betreuung fachjournalistische Artikel veröffentlichen. Dennoch ist die Bezeichnung "Fachzeitschrift" für Computerzeitschriften nicht unüblich, so verwendet ihn beispielsweise auch die Allensbacher Computer- und Technik-Analyse.4 Wir nutzen hier nur den Begriff Computerzeitschrift.



Abbildung 1: Typisierungspfad der Computerzeitschriften nach Hartmann (2004).


Wissenschaftszeitschriften sind "regelmäßig verlegte Magazine über Spezial­themen aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen. Sie stellen neue Methoden, Techniken und aktuelle Trends aus den Wissenschaften dar."5 In der Regel sind sie "peer-reviewed", d. h. der Verlag einer Wissenschaftszeitschrift lässt eingereichte Beiträge (meist anonym) durch fachkundige Gutachter prüfen, um zu einer Veröffentlichungsentscheidung zu gelangen.

1.2 Gliederung

In den Kapiteln 2 und 3 betrachten wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen journalistischen und wissenschaftlichen Texten. Kapitel 4 nennt mögliche Gründe für die Unterschiede. Schließlich enthält Kapitel 5 einen Vorschlag zur Annäherung der beiden Textformen; es folgt eine Zusammenfassung der Arbeit.

2. Trennendes

In diesem Abschnitt beschreiben wir Punkte, die wissenschaftliche Publikationen und fachjournalistische Beiträge voneinander unterscheiden.

2.1 Autorenprofil

Fachjournalisten haben eine fachliche (Erst-) Ausbildung und darüber hinaus eine journalistische Weiterbildung absolviert - letztere möglicherweise nur informell, indem sie durch Redaktionskollegen angeleitet wurden.

Forscher haben im Allgemeinen keine journalistische Ausbildung oder Qualifikation, aber äußerst tiefe Fachkenntnisse: Themen der Publikationen sind die jeweiligen Arbeitsgebiete der Forscher, sie präsentieren hier häufig ihre eigenen Ergebnisse.

2.2 Zielgruppen

Während Forscher für "ihresgleichen" schreiben, sich also an ähnlich vorgebildete Mitglieder ihrer peer group wenden, schreiben Fachjournalisten für unterschiedliche Zielgruppen. Wir untersuchen hier Computerzeitschriften, die Artikel mit technisch hohem Niveau abdrucken, deren Zielgruppen also auch aus stark vorgebildeten Lesern bestehen.

2.3 Inhalte

Als inhaltliche Aspekte betrachten wir Thema und Niveau der Beiträge. Die Themenauswahl ist eine offensichtliche Inhaltseigenschaft; durch die Einschränkung auf Informatikthemen sind die Themen der Publikationen gleich oder zumindest sehr ähnlich gewählt.

Was das Niveau betrifft, können sich fachjournalistische Arbeiten und wissenschaftliche Texte deutlich unterscheiden. Beide Bereiche haben aber jeweils ein Spektrum von einfacheren bis zu anspruchsvolleren Texten, und an ihren Grenzen überlappen sie sich.

2.3.1 Wissenschaft

Publikationen mit wissenschaftlichem Charakter dienen in der Regel dazu, Forschungsergebnisse der (mitunter kleinen) peer group zu präsentieren. Die übliche Terminologie gilt aus vertraut, und vor allem kürzere Texte verzichten auf eine Ausformulierung aller Argumentationsschritte. Die zitierte Literatur wird oft als bekannt vorausgesetzt, und Gedankengänge sind nur dort vollständig dargestellt, wo sie wirklich neu, also der Kern der Arbeit sind.

Andererseits gibt es auch Übersichtsartikel, die beispielsweise für den schnel­len Überblick über ein fremdes Fachgebiet hilfreich sind und selbst keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentieren. Dazu kommen Hochschultexte, die sich an Studenten ohne Vorkenntnisse wenden und ein Thema sehr elemen­tar und ausführlich behandeln.

2.3.2 Journalismus

Journalistische Arbeiten greifen durchaus auch Themen auf, die Gegenstand der aktuellen Forschung sind. Da sie sich aber an eine viel größere Zielgruppe als die wissenschaftlichen Beiträge wenden, können sie nicht im gleichen Maß Kenntnis von Fachvokabular und früheren (wissenschaftlichen) Arbeiten voraussetzen. Manche Zusammenhänge sind auch so komplex, dass eine (verfälschende) Vereinfachung nötig ist. Die Beschreibung ist dann sachlich nicht mehr richtig (sie ist zu stark vereinfacht), aber der Leser gewinnt trotzdem einen Eindruck von der Thematik. Eines der populärsten Beispiele stammt diesmal nicht aus der Informatik, sondern aus der Physik: die Relativitäts­theorie. Sie ist regelmäßig Gegenstand stark vereinfachender Darstellung in Publikumszeitschriften.

In Computerzeitschriften mit gehobenem Anspruch erreichen und übertreffen einige Artikel aber durchaus das Niveau der einfachsten wissenschaftlichen Beiträge.

2.4 Qualitätskontrollen

Im redaktionellen Prozess ist es üblich, von externen Autoren erstellte Beiträge zu redigieren, also sprachlich/stilistisch zu überarbeiten. Teilweise wird hier auch die Einhaltung eines bestimmten, publikationseigenen Sprachstils angestrebt (so beispielsweise beim "Spiegel"). So weit möglich, findet eine inhaltliche Überprüfung der eingereichten Texte statt - gibt es in der Redaktion keine Experten für das jeweilige Thema, ist auch denkbar, einen externen Experten um ein Gegenlesen zu bitten. Auch bei Fachbüchern findet ein redaktioneller Prozess statt, der dann in Fachlektorat (die inhaltliche Bearbeitung) und Sprachlektorat (die Überarbeitung von Stil, Grammatik und Recht­schrei­bung) zerfällt.

Im wissenschaftlichen Umfeld unterliegt ein Großteil der Veröffentlichungen dem Peer-review-Prozess: So leiten etwa die Herausgeber vieler Fachjournale eingereichte Beiträge anonym an mehrere Referenten weiter, die diese beurteilen und mit einer Veröffentlichungsempfehlung (oder -ablehnung) zurückgeben. Angenommene Beiträge landen typischerweise unverändert, also zum Beispiel mit allen Rechtschreibfehlern, im Journal. In einigen Fällen kommt es auch vor, dass ein Beitrag mit Auflagen angenommen wird: Dann fordern die Herausgeber den Autor auf, seinen Beitrag inhaltlich zu überarbeiten. Erfüllt die überarbeitete Fassung dann die Kriterien, wird der Beitrag angenommen.

2.5 Stilistische und formale Unterschiede

Wissenschaftliche Texte sind oft durch eine Häufung von Passivkonstruktionen und Substantivierungen geprägt: Viele Sätze enthalten Formen mit "wird", "kann" und "lässt", z. B.: "Die Einrichtung lässt sich vom Administrator durchführen." Im Vergleich dazu meiden journalistische Texte diese Formen, denn die meisten passiven Sätze können in eine aktive Form gebracht werden, indem man die handelnde Person in den Satz einbringt: Aus "Die Tür wird geöffnet" wird dann "Er/Sie öffnet die Tür."

Krahl und Kurz6 haben schon 1973 in ihrem "Kleinen Wörterbuch der Stilkunde" den wissenschaftlichen Sprachstil folgendermaßen definiert:

"Sprachstil wissenschaftlicher Beschreibung, Erörterung und Darlegung. Deren Hauptkennzeichen ist Sachbezogenheit, Entindividualisierung, Gebrauch der Terminologie. [...]
Da Hauptzweck wissenschaftlicher Mitteilungen die Ausbreitung und Diskussion von Erkenntnissen ist, kann wissenschaftlicher Sprachstil spezieller in seinen hauptsächlichen Darstellungsarten Beschreiben, Erörtern und Darlegen gefasst werden. Kennzeichnend für den Denkstil wissenschaftlicher Mitteilungen sind vor allem eine streng logische, oft vom Generellen zum Speziellen schreitende Disposition, meist argumentierende Gedankenfolge (Syllogismus), maximale Dichte und Präzision."

Es gibt auch einige formale Unterschiede, so haben beispielsweise Zwischenüberschriften in den beiden Textsorten unterschiedliche Funktionen:

  • Bei wissenschaftlichen Arbeiten setzen sie die Gliederung um, wobei bis in die letzte Gliederungsebene Kapitelnummern vergeben werden (etwa: "1.1.4.1 Ein Unterabschnitt"). Ein neuer Abschnitt beginnt immer nach einer solchen Zwischenüberschrift. Aus diesen wird auch das Inhaltsverzeichnis erzeugt.

  • Bei fachjournalistischen Texten, die in Zeitschriften erscheinen, gibt es in der Regel nur eine Zwischentitelart, und es muss nicht notwendig ein Zusammenhang zwischen Zwischentiteln und Gliederung bestehen. Die Verwendung von Kapitelnummern ist nicht üblich.

Fachbücher, egal ob wissenschaftlichen oder fachjournalistischen Charakters, benötigen wegen ihrer Länge in jedem Fall Überschriften mit Gliederungsfunktion. Eine Unterscheidung der Textsorten an Formalien ist hier oft über die Gliederungstiefe, bis zu der die Zwischenüberschriften Kapitelnummern erhalten, möglich:

1. Kapitel71. Kapitel
1.1 Abschnitt1.1 Abschnitt
Unterabschnitt1.1.1 Unterabschnitt
Unterunterabschnitt  1.1.1.1 Unterunterabschnitt
AbsatzAbsatz

2.5.1 Beispiele

Um den typisch wissenschaftlichen Sprachcharakter zu beurteilen, betrachten wir Veröffentlichungen, die keinen (Sprach-) Lektoratsprozess8 in einem Verlag durchlaufen haben - dafür eignen sich beispielsweise Vorlesungsskripte, die an Hochschulen als Begleitmaterial zu einer Lehrveranstaltung erstellt wurden.



Abbildung 2: Auszug aus Bemmerl (2004) - die gelben Markierungen zeigen Passivkonstruktionen an, die grünen vermeidbare Substantive.




Abbildung 3: Auszug aus Klein (2006) - die gelben Markierungen zeigen wieder Passivkonstruktionen an, die grünen vermeidbare Substantive.




Abbildung 2 (auf Seite 11) zeigt einen Auszug aus einem Skript der RWTH Aachen9. Passivkonstruktionen sind gelb hinterlegt - ihre Häufigkeit fällt auf. Kombinationen mit Modalverben verstärken die Wirkung noch, wie beispielsweise in "können [...] vermieden werden" und "soll [...] hingewiesen werden". Die grünen Markierungen kennzeichnen vermeidbare Substantivierungen, also solche, die auch mit Hilfe der Verben realisierbar gewesen wären, ohne den Satz damit unnötig komplex zu gestalten.

Entsprechend zeigt Abbildung 3 (auf Seite 12) einen Ausschnitt aus einem Artikel der Computerzeitschrift iX10, die gelben und grünen Markierungen haben dort die gleichen Bedeutungen wie in Abbildung 2. Auch in diesem Text kommen Passivkonstruktionen und vermeidbare Substantivierungen vor, aller­dings ist ihr Anteil am Gesamttext deutlich geringer: Aktive Sätze sind hier in der Mehrheit.

Tabelle 1 fasst die sprachlich-stilistischen Unterschiede zusammen.

Die Texte sind nur zwei Beispiele und können nicht für sich in Anspruch nehmen, repräsentativ für die Textsorten zu sein. Im Rahmen einer umfangreicheren wissenschaftlichen Studie wäre es möglich, statistisch relevante Daten zu gewinnen.


Aspekt

Wissenschaftliche
Veröffentlichung

Fachjournalistischer Text

Satzstruktur

Oft: Lange Sätze mit komplexer Grammatik

Einfache, kurze Sätze

Fremd- und Fachwörter

zahlreich

reduziert

Aktive/passive Formen

überwiegend passiv

überwiegend aktiv

Substantivierungen

zahlreich

selten


Tabelle 1: Stilistische Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und fachjour­nalistischen Texten.




3. Verbindendes

Ein offensichtliches verbindendes Element ist das Publizieren von Informationen. Es gibt aber noch weitere Gemeinsamkeiten. Zwei Aspekte stellen wir in diesem Kapitel vor.

3.1 Publizistische Maßstäbe

In diesem Abschnitt beleuchten wir die Frage, inwieweit wissenschaftliche Publikationen die im Pressekodex11 formulierten Regeln einhalten.

Ein Kernpunkt des Pressekodex ist die Verpflichtung zur Wahrheit. Im wissenschaftlichen Bereich gibt es diese ebenfalls: Beschriebene Versuchsergebnisse, Messwerte etc. müssen wahrheitsgemäß sein, besonders wichtig ist hier auch die Forderung, sich nicht mit fremden Federn zu schmücken. (Zitate aus anderen Arbeiten müssen eindeutig kenntlich gemacht werden, selbst wenn nur kurze Passagen zitiert werden.) Forscher, die gegen diese Regel verstoßen, bezahlen mit dem Verlust der wissenschaftlichen Reputation: Sie werden nicht mehr ernst genommen.

Den Richtigstellungen (falscher Nachrichten oder Berichte) im journalistischen Bereich entspricht hier in Ansätzen der wissenschaftliche Diskurs: Dabei geht es nicht um absichtlich falsche Behauptungen (s. o.), sondern um Ergebnisse, die wegen fehlerhafter Methodik oder logischer Fehler falsch sind. Solche Fehler fallen oft erst auf, nachdem eine Arbeit veröffentlicht wurde. Andere Forscher, die die Fehlerursache entdecken, können dann selbst über dieses Thema publizieren und den Fehler damit öffentlich machen und korrigieren.



Der Pressekodex schreibt in Punkt 7 vor:

"Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken."

Im wissenschaftlichen Bereich gibt es unternehmensfinanzierte Studien, die gelegentlich zu Ergebnissen führen, welche die Interessen der Geldgeber unterstützen. Ein noch gravierenderes Beispiel ist die vom Spiegel im Juni 2005 gemeldete finanzielle Unterstützung von Gesundheitsforschern durch die Tabakindustrie12:

"Hochrangige Wissenschaftler aus Deutschland ließen sich Studienprojekte jahrelang von der Tabakindustrie bezahlen. Wie der SPIEGEL berichtet, zeigen firmeninterne Dokumente, wie die Zigarettenkonzerne die Forscher instrumentalisierten, um die Gefahren des Rauchens herunterzuspielen. [...] Nach dem Be-
richt des SPIEGEL haben führende Gesundheitswissenschaftler Deutschlands bis Anfang der neunziger Jahre zum Teil sechsstellige Beträge bekommen."

Die Käuflichkeit von Forschern ist damit ein mit der Käuflichkeit von Jour­nalisten vergleichbares Problem.

3.2 Wissensvermittlung

Ein Ziel allen Publizierens ist das Vermitteln von Informationen, hier wie da. Im Bereich der Computerzeitschriften (mit hohem technischem Anspruch) geht es häufig konkret um Wissen und Kenntnisse: Leser nutzen Grundlagen- und Workshop-Artikel, um sich in ein neues Themengebiet einzuarbeiten. Solche Artikel haben das gleiche Ziel wie in ein Thema einführende wissenschaftliche Arbeiten - durch die Lektüre soll der Leser neue Kenntnisse hinzugewinnen und idealerweise in einen größeren Zusammenhang einordnen können.



4. Ursachen der Unterschiedlichkeit

Dieses Kapitel beleuchtet drei mögliche Erklärungen der sprachlichen Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und journalistischen Texten.

4.1 Stilistische Richtlinien

In den Autorenrichtlinien der Computerzeitschrift Linux-Magazin13 heißt es:

"Passiv-Konstruktionen sind nicht immer zu vermeiden, Sie sollten es aber zumindest versuchen: Stilistisch viel gelungener ist zu sagen, wer oder was in einem Satz die aktive Rolle spielt. [...] Vermeiden Sie viele aufeinander folgende Sätze mit `man` und unnötige Substantivierungen (`Die Durchführung der Befragung` oder `Die Zurverfügungstellung`). [...] In Fach- und Publikumszeitschriften sind Abkürzungen wie `z. B.` verpönt (im Gegensatz zu wissenschaftlichen Zeitschriften, bei denen Unverständlichkeit Teil des Konzepts ist)."

Andererseits empfehlen Ratgeber für wissenschaftliches Schreiben gerade, von journalistischen Mustern abzuweichen. So verbieten beispielsweise die Regeln für wissenschaftliches Schreiben14 eines Instituts der Universität Duisburg-Essen "umgangssprachliche Formulierungen" und "journalistischen Schreib­stil" (siehe auch Abbildung 4 auf Seite 18).

Für die Arbeit mit (gegliederten) Überschriften untersagt ein anderes Dokument15 die Nutzung von "Vorbemerkungen": Dabei handelt es sich um einleitenden Text zwischen zwei Überschriften unterschiedlicher Hierarchien, also etwa zwischen den Überschriften zu Kapitel 1 und Abschnitt 1.1:




Abbildung 4: Regeln für wissenschaftliche Texte, nach Schnabbel (2004)


"Vorbemerkungen zu einzelnen Gliederungspunkten sind zu vermeiden. So hat im Textteil der Arbeit auf die Überschrift:
`3. Ein Simulationsmodell` die Überschrift `3.1. Begriff der Simulation` zu folgen, woran sich dann unmittelbar die inhaltlichen Ausführungen anschließen. Zwischen beiden Überschriften verbleibt kein Raum für allgemeine Vorbemerkungen."

Im Gegensatz verlangen viele Fachbuchverlage genau dies: die Auflockerung eines stark mit Überschriften strukturierten Textes durch überleitende Formulierungen, so beispielsweise die Autorenrichtlinien des Sybex-Verlags16:

"Zur Strukturierung eines Kapitels können Sie, je nach Konzept, bis zu vier Überschriftenebenen benutzen. [...] Zwischen den Überschriften muss auf jeden Fall Fließtext stehen. Eine Überschrift sollte höchstens eine Zeile lang sein."



4.2 Fachsprache als Abgrenzungsmittel

In vielen Sparten verwenden Wissenschaftler eine stark ausdifferenzierte eigene Fachsprache, die für fachfremde Personen kaum verständlich ist. Das ist teilweise notwendig, weil die Umgangs- oder Alltagssprache kein passendes Vokabular enthält - in einigen Fällen ist das Ziel aber auch eine Abgrenzung von (fachlich) ungebildeten Personen. So könnte etwa der Mediziner, der einen Satz mit vielen lateinischen Fremdwörtern sagt, sich in der Regel auch der deutschen Übersetzungen bedienen - tut es aber nicht, weil das unüblich ist.

In ähnlicher Weise sind auch wissenschaftliche Publikationen oft so verfasst, dass fachfremden Lesern gleich mit den ersten Sätzen deutlich gemacht wird, dass sie diesen Text nicht verstehen werden, weil die Grundlagen und sogar das nötige Vokabular fehlen.

Bettel17 erwartet allerdings, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren verändern wird:

"[...] Dazu gehört auch - und das zeichnet sich seit längerem ab -, dass Wissenschaftler lernen müssen, ihr Expertenwissen verständlich zu vermitteln."

4.3 Motivation und Ziele der Autoren

Journalisten schreiben für (meist) zahlende Kunden, die nicht nur informiert, sondern auch unterhalten werden wollen - eine Computerzeitschrift, die zwar korrekte (und vielleicht auch nützliche) Informationen vermittelt, dabei aber hundertprozentig trocken, theoretisch oder auf andere Weise demotivierend vorgeht, wird sich kaum am Markt halten können. Passt dem Leser der Stil der Artikel nicht, wird er sich nach einem anderen Produkt umsehen: Die meisten Computerzeitschriften haben Konkurrenten. Da also der Unterhaltungswert eines der Kriterien für die Kaufentscheidung ist, wird jeder Verlag bemüht sein, in diesem Bereich zu punkten. So schreibt auch Schümchen18:

"Nicht zuletzt durch verstärkten Wettbewerb (als Beispiel sei nur der Markt der Computerzeitschriften genannt) wird es für den Erfolg technik-journalistischer Arbeit immer wichtiger, Inhalte auch auf unterhaltsamere Weise darzustellen. Special-Interest- und ver­mehrt auch Fachzeitschriften bedienen sich deshalb zunehmend der Methoden des Magazinjournalismus (Stichwort `Info­tain­ment`)."

Im wissenschaftlichen Umfeld sieht es anders aus. Zu den meisten Themen ist die Anzahl der Publikationen begrenzt, zu offiziellen Vorlesungsskripten gibt es prinzipiell keine Alternative, wenn sie prüfungsrelevant sind. Es herrscht also bei den Autoren kein Wettbewerbsdruck: Ob der Leser den Text mit Vergnügen liest, spielt keine Rolle und hat keine Auswirkung. Speziell für den Fall der Vorlesungsunterlagen kommt noch hinzu, dass der Servicegedanke erst langsam in die deutschen Hochschulen einzieht, was eventuell an der bis vor kurzem üblichen Gebührenfreiheit des Studiums liegt. Aus dem Ausland ist zum Beispiel eine bessere Betreuungssituation bekannt (was sowohl das zahlenmäßige Verhältnis von Dozenten zu Studenten als auch das persönliche Engagement der Dozenten betrifft): Da dort erhebliche Studienkosten anfallen, haben die Studenten eine entsprechende Erwartungshaltung an die Qualität der Lehre (und damit auch der Lernmaterialien).

5. Wege zur Harmonisierung

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Annäherung der Stile journalistischer und wissenschaftlicher Arbeiten überhaupt erstrebenswert ist, an zweiter Stelle: Wie würde dies aussehen? Schließlich sind dann mögliche Schritte zu bestimmen, die zu diesem Ziel führen.

5.1 Gründe für die Angleichung

Unterschiedliche Stile zu pflegen, hat einen wesentlichen Nachteil: Sowohl Leser als auch Autoren, die in beiden "Welten" arbeiten wollen, müssen sich bei der Lektüre oder beim Erstellen neuer Texte immer wieder auf den jeweils erforderlichen Stil einstellen. Für Journalisten, die zielgruppengerechtes Schrei­ben gelernt haben, mag dies nur eine Variante ihrer ohnehin üblichen Anforderungen sein; speziell wissenschaftlich ungeübte Leser werden aber durch den abweichenden Stil abgeschreckt.

Da der typisch wissenschaftliche Sprachstil oft mit dem Prädikat "seriös" ausgezeichnet wird, besteht im wissenschaftlichen Umfeld möglicherweise die Sorge, dass durch Auflockern der Sprache und Hinwendung zu journalisti­schem Sprachstil auch wichtige Eigenschaften wie die Korrektheit verloren gehen. Dabei mangelt es der journalistischen Seite gar nicht an Präzision.

5.2 Stilistische Veränderungen

Was können Wissenschaftler von Journalisten lernen, und wie sieht es in der umgekehrten Richtung aus?

Während der Wissenschaftler in seinem akademischen Werdegang vor allem lernt, Wert auf die methodische Korrektheit seiner Arbeit zu legen, konzentriert sich der Journalist (der ebenfalls der Wahrheitsfindung verpflichtet ist) auch darauf, seine Sprache zielgruppengerecht anzupassen. Dies wäre die Grundlektion für den Wissenschaftsbetrieb: Texte sollen nicht abschrecken, sondern dazu motivieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

In der umgekehrten Richtung gibt es keine auffälligen stilistischen Eigenschaften wissenschaftlicher Texte, von deren Übernahme fachjournalistische Arbeiten profitieren könnten.

5.3 Konkrete Schritte

Der Begriff "wissenschaftliches Volontariat" ist bereits mit einer anderen Bedeutung belegt,19 aber er beschreibt dennoch die Idee, angehenden Wissenschaftlern schon während des Studiums das Schreiben beizubringen. Möglich wäre es beispielsweise, im Hauptstudium ein verpflichtendes Textpraktikum einzuführen. Das nötige Know-how existiert an einigen Hochschulen bereits, etwa dort, wo Aufbaustudiengänge wie "Technische Redaktion" angeboten werden. Auch die Zusammenarbeit mit Journalistenschulen ist denkbar. Spätestens am Studienende, wenn die Diplom- oder Magister- bzw. neuerdings Bachelor- oder Master-Arbeit ansteht, sollten die Studenten dann ihr Wissen über wissenschaftliches Schreiben umsetzen.

Dieser Ansatz ist nicht abwegig, denn im verwandten Themenbereich der Didaktik hat sich die Grundhaltung in den letzten Jahren auch geändert: So ist z. B. an bayerischen Fachhochschulen ein Besuch der Fortbildung "Basisseminar Hochschuldidaktik" des DIZ20 für alle neuberufenen Professoren vorgeschrieben, und auch an den Universitäten gibt es Bestrebungen, den Dozenten beizubringen, wie sie ihre Vorlesungen lebendiger gestalten können.

6. Zusammenfassung

Fachjournalistische Texte unterscheiden sich sprachlich deutlich von wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Im Rahmen dieser Arbeit haben wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten beschrieben und mögliche Ursachen für die Differenzen betrachtet. Die stilistischen Besonderheiten wissenschaftlicher Texte (wie etwa eine Vorliebe für Passivkonstruktionen und Substantivierungen) wurden als künstliche, erwünschte Eigenschaften erkannt.

Ausgehend von dieser Analyse haben wir vorgeschlagen, Wissenschaftler (bereits während des Studiums) im Schreiben zu unterrichten und dabei journalistische Grundlagen zu vermitteln. Im Falle einer langfristigen Umsetzung dieses Vorschlags würde sich der Stil wissenschaftlicher Publikationen demjenigen fachjournalistischer Texte aus dem gleichen Wissensgebiet annähern, was die Lesbarkeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit aktuellen Arbeiten aus der Forschung auch unter Nichtwissenschaftlern erhöhen würde.



Literatur

Bemmerl, T. (2004): Betriebssysteme II, Skript zur Vorlesung an der RWTH Aachen, Sommersemester 2004

Bettel, S. (2003): Wissenschaftsjournalisten - Lotsen durch das 21. Jahrhundert?, Fachjournalist, Nr. 8 (2003), S. 3-6, http://www.dfjv.de/dfjv/artikelpool/pdf/2--bettel_wissenschaftsjournalisten.pdf

DJV (2006): Deutscher Journalistenverband: Berufsbild Journalist, http://www.djv.de/journalist/berufsbild/ueberblick.shtml (Abruf am 03.09.2006)

Goossens, M./Mittelbach, F./Samarin, A. (1994): The LaTeX Companion, Addison-Wesley Publishing, 1994

Hartmann, S. (2004): Printmedien, Deutsche Fachjournalisten-Schule, 2004

Köcher, R. (2005): Bestimmung von Potentialen und Zielgruppen auf Basis von Verbraucherbedürfnissen, ACTA 2005 (Allensbacher Computer- und Technik-Analyse), Institut für Demoskopie Allensbach, 2005, http://www.acta-online.de/praesentationen/acta_2005/acta_2005_rk.pdf

Krahl, S/Kurz, J. (1973): Kleines Wörterbuch der Stilkunde, VEB Bibliogra­phisches Institut Leipzig, 1973

Klein, T. (2006): Vergängliche Spuren, iX 10/2006, S. 128 ff.

Linux-Magazin (2005): Autorenhinweise, http://www.linux-magazin.de/Autorenhinweise/Hinweise.html (Abruf am 22.08.2006)

Presserat (2006): Pressekodex, Fassung vom 02.03.2006, http://www.presserat.de/pressekodex.html

Rieper, B. (2005): Leitfaden zur Erstellung von wissenschaftlichen Hausarbeiten, Universität Siegen, http://www.uni-siegen.de/~ibl/downloads/download/leitfaden.pdf (Abruf am 03.09.2006)

Schnabbel, C. (2004): Hausarbeiten und Diplomarbeiten schreiben, Universität Duisburg-Essen, http://www.uni-duisburg.de/FB5/VWL/IWB/docs/studium/download/hud.pps (Abruf am 03.09.2006)

Schümchen, A. (2005): Technikjournalismus. Fachjournalist 17/2005, S. 4 ff., http://www.dfjv.de/dfjv/artikelpool/pdf/123-schuemchen_technikjournalismus_einfuehrung.pdf

Sybex (2001): Autorenrichtlinien des Sybex-Verlags, nicht veröffentlicht, 2001

TecChannel (2006): TecChannel Mediadaten 2006, http://media.tecchannel.de/fileserver/idgmd/files/47.pdf

Fußnoten

1 Vgl. DJV (2006)

2 Vgl. TecChannel (2006)

3 Vgl. Hartmann (2004), S. 55

4 Vgl. Köcher (2005)

6 Vgl. Krahl/Kurz (1973), S. 137

7 Die hier gewählten Bezeichnungen der Gliederungsebene folgen der Notation im Textsatzsystem LaTeX, das als Gliederungsebenen chapter, section, subsection, subsubsection, paragraph und subparagraph kennt. Vgl. Goossens et al. (1994), S. 20

8 Unter "Sprachlektorat" verstehen wir die sprachliche (stilistische) Überarbeitung eines Texts. Es enthält auch die (einfachere) Rechtschreib- und Grammatikkorrektur. Findet nur die letztere statt, bezeichnen wir das als "Korrektorat".

9 Vgl. Bemmerl (2004)

10 Vgl. Klein (2006)

11 Vgl. Presserat (2006)

13 Vgl. Linux-Magazin (2005), Abschnitt "Kleine Stilfibel"

14 Vgl. Schnabbel (2004), Abschnitt 3 ("Zitierweise und Sprachstil")

15 Vgl. Rieper (2005), Kapitel III.2 ("Einzuhaltende formale Regeln"), S. 5

16 Vgl. Sybex (2001), Kapitel C.1 ("Konzeptionelle Vorbereitungen")

17 Vgl. Bettel (2003), S. 4

18 Vgl. Schümchen (2005)

19 Das "wissenschaftliche Volontariat" bereitet auf eine Tätigkeit in Denkmalfachbehörden vor. Die Volontäre haben meist ein Studium der Kunstgeschichte oder Architektur absolviert und lernen hier die Denkmalschutz-Praxis kennen.

20 Zentrum für Hochschuldidaktik der bayer. Fachhochschulen, http://www.diz-bayern.de



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